Wassersuche in Namibia: Hundegebell für die Ahnen

von Jutta Lemcke

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Die Kalahari in Namibia ist staubtrocken – doch weit unten in der Tiefe finden sich unzählige Wasseradern. Wer hier bohren will, braucht schweres Gerät. Und er muss die Ahnen um Erlaubnis fragen.

Die Gunst der Ahnen von Namibia

Der alte Mann mit dem orangefarbenen Hut fängt an zu bellen. Er wendet sich gen Westen – und mit ihm die anderen Männer, die sich an dem kalten Morgen in der knochentrockenen Kalahari in der Omaheke Region im äußersten Osten Namibias versammelt haben. Die ganze Nacht haben die Männer auf ihren Campingstühlen auf einer Lichtung um ein Feuer gehockt, um zur Morgendämmerung vor Ort zu sein. Der alte Mann mit dem orangefarbenen Hut heißt Niklaas Kuazire und er ruft die Ahnen an. Die Sonne Namibias blinzelt am Horizont und schickt ihre Silberstrahlen über das trockene Gras. Niklaas bellt, um die Ahnen zu wecken. „Wer stört uns“, rufen die Vorfahren, denen Niklaas an diesem Morgen seine Stimme leiht. „Wir sind es, die Gemeinde von Ovinjuru. Das Jahr war trocken und wir leiden Durst. Wir müssen einen Brunnen bohren, hier an diesem Ort. Bitte verzeiht die Ruhestörung und gebt uns euren Segen.“

Niklaas lauscht, dann melden sich die Verstorbenen, deren Seelen im Glauben der Hereros an diesem Ort bis in alle Ewigkeit verweilen. „Haut ab, lasst uns in Ruhe!“ Doch Niklaas hat einen Trumpf im Ärmel. Schon am Abend zuvor war ein männliches Schaf, schneeweiß mit schwarzem Kopf und kleinen Hörnern, ausgesucht und für ein wenig erfreuliches Schicksal bestimmt worden. „Wir haben euch etwas mitgebracht“, ruft Niklaas den Seelen zu. „Das beschert euch eine gute Mahlzeit. Dieses Schaf gehört euch, wenn ihr uns erlaubt, an dieser Stelle nach Wasser zu bohren.“ Das stimmt die Ahnen milde. Niklaas nickt zufrieden. Wer immer ihm die Worte zugeflüstert hat, der Segen für die Bohrarbeiten wurde gegeben. Das Schaf wird gepackt, mit einem Schnitt durch den Hals getötet und nach Westen ausgerichtet ins Gras gelegt. 

Ohne Wasser drohen schwere Probleme in Namibia

Wir sind in Ovinjuru, einem 500-Seelen-Ort nördlich von Gobabis mitten in der Kalahari. Kaum ein Tourist kommt hier jemals vorbei. Dies ist kommunales Land, das zu der Gemeinde Epukiro mit wenigen tausend Einwohner zusammengefasst ist. Vor allem Hereros leben hier, beziehungsweise ihre Brüder und Schwestern, die Ovambanderus. Weit verstreut liegen hier die blitzsauberen Gehöfte mit ihren einfachen Hütten aus Wellblech und einer ständig brennenden Feuerstelle, um die sich die Hütten im Kreis anordnen. Der Besitz der Menschen besteht vor allem aus ihren Rindern, den Schafen und Ziegen, die bei gutem Regen und fettem Gras wohlgenährt frei umherziehen. Bleibt der Regen aus – und das passiert immer häufiger -, zupfen zu viele Tiere an den verbleibenden Halmen und es drohen sehr schlechte Zeiten, erst für die Vierbeiner, bald auch für ihre Besitzer.

Das Projekt Ewe-Retu in Namibia von Floyd Hambira

Ovinjuru ist reich an Traditionen und gelebtem Miteinander, aber arm an Geld und guter Versorgung. Floyd Hambira, ein Herero, der eine glückliche Kindheit in Ovinjuru verbracht hat, später in Deutschland ausgebildet wurde und dann nach Namibia zurückkehrte, will das ändern. Gemeinsam mit der Gemeinde hat er das Projekt Ewe-Retu ins Leben gerufen. Mit viel Engagement, unerschütterlichem Optimismus und finanzieller Hilfe von Privatleuten aus Deutschland ist bislang ein prächtiger Kindergartenbau und ein blühender Obstgarten entstanden. Eine Schule, Werkstätten und vielleicht eine kulturelle Begegnungsstätte sollen folgen. Doch zunächst braucht Ewe-Retu Namibia Wasser. Das ist auch der Grund, warum sich an jenem kalten, klaren Morgen die Alten in der Kalahari versammelt haben. Denn nur wenn die Ahnen ihren Segen geben, können die Bohrarbeiten beginnen.

Wünschelroute mit Erfolgsgarantie

Das Ahnenritual ist geheim, Fremde dürfen nicht zusehen, Frauen grundsätzlich nicht. Doch die Gemeinde hat eine Ausnahme gemacht. Floyd hat sie überzeugt, dass man die Traditionen festhalten und dokumentieren müsse, bevor die modernen Zeiten alles überdecken und die Rituale in der Vergangenheit versinken. Noch im Dunkel der Nacht sind wir also aufgebrochen, um pünktlich zum Opferritual auf der Lichtung zu sein. Das Auto prescht auf der menschenleeren, schnurgeraden Kalahari-Straße entlang. Staub steigt in dichten Wolken gen Himmel, der einen silbrigen Glanz annimmt und den aufwirbelnden Sand in einen feinen Glitzerregen verwandelt.

Wir überholen einen Eselskarren, der in beachtlicher Geschwindigkeit über die Schotterpiste rumpelt. Dann eine Vollbremsung. Zwei Rinder schlafen mitten auf der Straße. Sie bemühen sich nur unwillig auf, um zwischen den Akazienbüschen zu verschwinden. Dann beginnt der Himmel zu brennen – wenige Minuten nur lodert der Horizont als wären Hunderte von Feuern gezündet. Die Blechhütten am Straßenrand glühen wie Kupfer und die Erde der Kalahari wird tiefrot. Dann ist der Farbenrausch urplötzlich vorbei und wir erreichen im Morgenlicht die Männergruppe, gerade rechtzeitig, um dem Ritual beizuwohnen.

Kaum ist das Schaf geopfert, beginnt der praktische Teil der Arbeiten. Alles ist vorbreitet. Schon am Abend vorher ist Louis Peter Martins mit seinem LKW, dem Anhänger und dem Kranwagen angerückt. Ein alter Damara hatte ihm zuvor versichert, dass man genau an dieser Stelle tief in der Erde auf eine Wasserader treffen würde. „Der Mann ist fantastisch“, sagt Louis. „Er läuft mit einer Wünschelrute umher oder balanciert eine Wasserflasche auf der Hand. Biegt sich die Rute oder wackelt die Flasche, weiß er, dass Wasser in der Tiefe fließt.“ Rund 90 Prozent hoch sei die Wahrscheinlichkeit, dass der Damara recht hat, erklärt Louis.

Die lange Suche nach Wasserader

Der Kranwagen wird positioniert, der Kompressor angeworfen und das Bohren beginnt. Mit drei bis vier Stunden hatten wir gerechnet – am Ende werden es zwölf. Stunde um Stunde versenken Louis und seine Männer die fünf Meter langen Bohrstangen in die Tiefe des Gesteins. Die Sonne steigt unbarmherzig in die Höhe und bring die Kalahari zum Dampfen. Die Männer gruppieren sich im Halbrund, um zuzuschauen, wie die einzelnen 170 Kilogramm schweren Stangen unter beständigem Geratter in die Tiefe dringen.

Während Louis‘ Männer ihre Schwerstarbeit verrichten, wird das Opferschaf mit geübten Schnitten zerlegt. Die noch dampfenden Fleischstücke werden auf Büschen abgelegt und dann in einem Dreibeintopf auf offenem Feuer gekocht und später verteilt. Ein alter Mann erscheint und reibt sich seine Hände mit dem Schafspansen ein – eine Reinigungszeremonie, so heißt es. Die Innereien werden in Namibia traditionell auch zur Reinigung in die Häuser von Verstorbenen geworfen, nachdem deren sterbliche Hülle die Hütte verlassen hat.

In der Mittagshitze verkriechen sich die Männer in den Schatten der niedrigen Akazienbäume, andere machen Siesta in ihren Häusern. Am Nachmittag stoßen die mittlerweile staubgepuderten Arbeiter in 75 Metern auf feuchtes Gestein – eine Wasserader ist es noch nicht. Alle fünf Meter werden Bodenproben entnommen und in Zehnerreihen aufgehäufelt. Am Abend hat sich der Bohrkopf bis 90 Meter ins Gestein gearbeitet – Louis und seine Männer machen Schluss und verziehen sich für die Nacht in ihre Wohnwagen und Zelte.

Am nächsten Morgen geht es weiter. Immer wieder spritzen Wasserfontänen aus dem Bohrloch. Die am Vortag staubgepuderten Arbeiter tragen nun Gummistiefel und sind vom Matsch gesprenkelt. Die alten Männer der Gemeinde haben sich wieder versammelt. Wir Fremde werden nun schon wie befreundete Leidensgenossen begrüßt. Hier ein Nicken, dort ein paar englische Begrüßungsworte. Die stolzen Hereromänner aus Namibia zeigen freundschaftliche Zuneigung und bringen ein paar Campingstühle. Weiter geht es mit Kompressorlärm, Geratter und Gerumpel, bis Louis gegen Mittag erklärt, man sei jetzt 120 Meter tief nach unten gedrungen und das Wasser würde ausreichen, um mit Hilfe einer Pumpe einen verlässlichen Brunnen installieren zu können.

Die Feier nach erfolgreicher Suche

Die alten Männer nicken zufrieden und ziehen gemessenen Schrittes von dannen. Die Nachricht vom Wasser hat sich offenbar in Windeseile verbreitet. Eine Gruppe Jungs kommt vorbei und stapft durch den Matsch. Dann wagen sich auch die Frauen vor. Sie haben offenbar von Ferne mitgefiebert und lassen sich alle Details der Aktion genau beschreiben. Warum sie nicht dabei sein durften? Sie zucken mit den Schultern und lächeln freundlich. Es gibt hier eine Männer- und eine Frauenwelt – das war schon immer so. Ob es sie wirklich stört, weiß man nicht.

Sie nehmen mich in ihre Mitte und wir laufen lachend und schwatzend zum nächsten Gehöft. Es gibt Vetkoek, knusprig-fette Kuchen, und zuckersüßen Tee mit Milch – nur bei den  Schafsinnereien muss ich passen. Sie lachen fröhlich und zupfen ihre prächtigen Hererotrachten zurecht, die sie mitten in der Kalahari im Staub und bei sengender Sonne tragen. Zeit für ein paar Fotos finden sie, richten sich stolz auf und lächeln in die Kamera. Das Wasser gefunden wurde, freut sie besonders. Sie brauchen es dringend, um zu kochen, zu waschen und für die Kinder von Ewe-Retu.  

Weitere Informationen

Ovinjuru liegt nördlich von Gobabis in der Gemeinde Epukiro in der Omaheke Region Namibias. Touristisch ist die Gegend wenig erschlossen. Es gibt eine gepflegte Selbstversorgerlodge (Tjiri Lodge, https://www.facebook.com/tjirilodgenamibia/) und in der Nähe die Harnas Wildlife Foundation mit der Harnas Guest Farm, die eine hochwertige Unterkunft sowie Wildlife-Aktivitäten bietet. www.harnas.org.

Das Projekt Ewe-Retu (übersetzt: der Stein, auf dem wir bauen) ist eine Initiative der Gemeinde Ovinjuru, um den Kindern mehr Bildungschancen zu geben, die Ernährungssituation zu verbessern und den Menschen mittelfristig ein Einkommen jenseits der Rinderhaltung zu ermöglichen. Die Initiative ist privat aus der Gemeinde heraus entstanden und wird inzwischen von privaten Unterstützern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz mitgetragen. Einer der Hauptunterstützer ist der Verein „Zukunft Afrika e.V.“ aus Wittenberg. Unter https://www.charisma-callcenter.de/zaev/ gibt es weitere Informationen und Kontaktdaten für mögliche Spender. Wer Interesse an einem Besuch in Ovinjuru hat, um das Projekt anzuschauen und eventuell  zu unterstützen, kann sich auch direkt an den Initiator vor Ort wenden: Floyd Hambira, E-Mail floydhambira@yahoo.com, P.Box 5611, Ausspannplatz, Windhoek, Namibia.

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Jutta Lemcke

Jutta Lemcke

Jutta Lemcke ist als Reisejournalistin weltweit unterwegs – am liebsten in exotischer Ferne. Schwerpunkte: das südliche Afrika mit Ländern wie Südafrika, Namibia, Botswana, aber auch Kreuzfahrten auf allen Weltmeeren und auf Flüssen.

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